Sehr lesenswerter Erfahrungsbericht von Werner über einen außerordentlichen und äußerst fordernden Ultra Trail Lauf:
Der S1 Ipertrail – La Corsa Della Bora ist ein autonomer 100 Meilen Lauf und startet in Sistiana, einem kleinen Ort ca. 20km nordwestlich von Triest. Die Route führt entlang am Golf von Triest, Richtung Slowenien über die Bora Hochebene hinauf auf den Slavnik. Entlang den Grenzen zwischen Slowenien-Kroatien und Slowenien-Italien geht es wieder zurück Richtung Triest und weiter nach Sistiana.
Gestartet werden kann um 22h in der Nacht, um 5h in der Früh oder um 10h vormittags am nächsten Tag. Das Zeitlimit von 45h verkürzt sich eben demensprechend, wenn man später startet.
Ich entschied mich für den frühest möglichen Start um 22h in der Nacht, weil ich den schwierigsten Teil der Strecke, ab ca. km 60, hinauf auf den Slavnik, bei Tag erledigen wollte.
Das Besondere an diesem Lauf ist, dass er vollkommen autonom absolviert werden muss. Es gibt keine Labestationen und keine Wegmarkierungen. Man bekommt eine Holzkiste, in welche man alle Dinge, die man unterwegs so benötigen könnte, reinpackt und diese wird vom Veranstalter zu den Checkpoints gebracht. So ca. alle 20-25km hat man Zugriff zu seiner Kiste. Weiters ist eben die Strecke nicht markiert. Man bekommt eine GPX-Datei die man auf ein Gerät seiner Wahl kopiert und selbstständig navigiert. Ein GPS-Tracker dient dem Veranstalter zur Kontrolle, dass man nicht abkürzt und natürlich auch zur Sicherheit, sollte etwas passieren.
Start also um 22 Uhr und es begann so, wie es sich dann durch das ganze weitere Rennen zog. Hinaus aus dem Startbereich, nach ca. 200m und der zweiten Kurve stand die gesamte Meute auf einem abgezäunten Grundstück und alle starrten ungläubig aufs Navi. Verlaufen! Suchend wurde herum geirrt, bis die ersten über den Zaun kletterten, um wieder auf die richtige Strecke zu kommen. Toll!
Die erste Nacht verlief sehr gut, ich war sogar bei der vordersten Gruppe dabei. Es setzten sich recht bald zwei Läufer ab, aber dafür schlossen von hinten weitere auf. So nach ca. 10-15km bildete sich eine recht große Gruppe von 7 Läufern. Es wurde natürlich nur italienisch gesprochen, und die Gruppe hat wohl beschlossen, so weiter zu laufen. Grundsätzlich laufe ich lieber alleine oder maximal zu zweit, man ist einfach schneller. Da das Tempo aber einigermaßen passte, bleib ich auch eine Zeit lang dabei. Nach dem zweiten CP wurde mir der Lauftreff aber doch etwas zu mühsam und ich setzte mich ein wenig ab. Auch ein zweiter Läufer der Gruppe hatte scheinbar genug davon und hängte sich bei mir an. Es stellte sich heraus, dass Oliviero nicht nur ein recht erfahrener Ultraläufer ist, der auch Englisch spricht, sondern er ist auch noch Veganer! Keine Ahnung wie das möglich ist, aber es finden sich bei solchen langen Läufen immer die richtigen zusammen. Es war recht schnell klar, dass wir die restliche Strecke gemeinsam angehen werden, Tempo passte zusammen, Verständigung auch.
Ab ca. km 60 begann der lange Anstieg hinauf auf den Slavnik. Zu dieser Zeit begann es zu regnen. Je höher es hinauf ging, desto stärker wurde auch der Wind. Auf den kahlen Hochebenen musste man sich richtig dagegen stemmen um nicht davon geblasen zu werden. Im dichten Nebel, bei Regen und dem Wind stellte sich auch das Navigieren als eine Herausforderung dar. Wir verliefen uns unzählige Male.
Irgendwann haben wir den Slavnik dann doch bezwungen und es ging wieder runter. Der Wind schwächte zwar ab, es regnete jedoch weiter und der Nebel wurde sogar dichter. Zu den nächsten beiden CPs bei km 83 und 107 zog es sich unendlich. Wir ließen uns dort etwas mehr Zeit, um das Gewand zu wechseln, zum Aufwärmen und Erholen.
Aus welchem Grund auch immer, gab es dann den nächsten CP erst bei km 147, also 40km keinen Zugriff auf die Kiste. Ich vermute hier baut der Veranstalter wohl eine kleine Extra-Herausforderung ein, denn Möglichkeiten hätte es gegeben. Zu einfach darf man es den Läufern ja auch nicht machen…
Inzwischen waren wir schon lange in der zweiten Nacht unterwegs und die Bedingungen wurden nicht besser. Eher schlechter, da im Nebel in der Dunkelheit auch die Stirnlampen fast sinnlos waren. Einziger Orientierungspunkt war der Hintern des Vordermannes. Die Orientierung des Vordermannes war Glückssache, manchmal blieben wir am Weg, oft aber halt auch nicht. Ich habe keine Ahnung wie oft wir uns hier verlaufen haben und irgendwo querfeldein im Wald den richtigen Weg gesucht haben. Es war zum Verzweifeln, und Spaß hat das alles schon lange keinen mehr gemacht.
So ab km 120 haben wir das erste mal beraten, ob das überhaupt noch Sinn macht. Mein Magen machte leider ein wenig Probleme und durch die Dauernässe zitterte ich am ganzen Körper. Durch das langsame Vorankommen, wurde mir einfach nicht mehr warm und an Laufen war gar nicht zu denken. Noch dazu waren die aufgeweichten Füße auch schon fertig.
An einer Wasserstation bei km 132 begann ich mal ein wenig herumzurechnen und das weitere Streckenprofil zu studieren. Für mich war klar, dass wir mit diesem Tempo für die noch fehlenden 32km, mindestens 10 weitere Stunden benötigen. Ich hätte noch 3, vielleicht sogar 4 Stunden unter diesen Bedingungen weitergemacht, aber 10 oder sogar mehr? Diesmal nicht.
Ich haderte zwar noch ein wenig mit der Entscheidung, aber schlussendlich hab ich doch den Veranstalter angerufen und mitgeteilt, dass ich hier abzuholen wäre.
Oliviero ging es ein wenig besser als mir und er entschied sich, weiter zu machen. Seine Stirnlampe hat zwar den Geist aufgegeben, aber ich hab ihm meine geborgt. Tatsächlich schaffte er es nach insgesamt 38h17m ins Ziel, er war also noch weitere 11h30m unterwegs. Das war für mich die Bestätigung, dass meine Entscheidung richtig war.
Fazit für mich: vollkommen autonome Läufe sind wohl nicht so mein Ding. Ich mag Labestationen und Wegmarkierungen. Solche Art von Läufen sind vielleicht über kürzere Distanzen, so 20-30km, recht lustig, aber nach über 100km hat man einfach keinen Bock mehr, sich ständig zu verlaufen und verloren im Wald herumzuirren. Schon gar nicht bei diesen Bedingungen. Die Siegerzeit von 30h11min sagt wohl alles.
So, das wurde nun doch etwas länger, aber eines muss ich noch los werden: Vielen, vielen Dank an alle die mich in unserer Whatsapp-Gruppe begleitet, angefeuert, motiviert und informiert haben. Sogar mit einem Song! Hat mir unglaublich geholfen, Ihr seid ein Wahnsinn! Best Team. Ever.
Bericht von Werner Weissl