Erlebnisbericht von Teammitglied Werner: S1-Ipertrail am „La corsa della bora“

Unser Team Mitglied Werner hat 2020 gleich mit einer mega Leistung begonnen und beim „La corsa della bora“ teilgenommen. Werner hat dabei den längsten und schwierigsten Bewerb, den S1-Ipertrail, abgeschlossen und uns einen tollen Nachbericht bereitgestellt, den wir hier gerne teilen möchten.

Erlebnisbericht von Teammitglied Werner: S1-Ipertrail am "La corsa della bora"

“ Der Ipertrail ist spezieller Ultratrail, er findet nur alle 2 Jahre statt, immer mit einer neuen Strecke und 70 (eingeladenen) Teilnehmern. Es ist ein Lauf auf einer nicht markierten Route, man muss selbstständig navigieren. Es gibt auch keine Laben, nur eine Kiste, auf die man ca. alle 30km zugreifen kann. Die Startzeit kann man selber wählen, Mitternacht, 3 oder 7 Uhr morgens. Die offizielle Strecke (ca. 177km/+8700m) wurde erst 5 Tage vor dem Start bekannt gegeben, um lokalen Läufern keinen Vorteil zu verschaffen. Die lange Reise beginnt in Nova Gorizia, führt über die Berge entlang des Vipava Tals über den Mount Nanos bis zum Golf von Triest, die Küste entlang weiter bis zum Ziel nach Sistiana.

Ich bin am 03.01 nach Sistiana angereist.  Ab 15 Uhr konnte man die Startunterlagen zusammen mit seiner Kiste abholen und bis 21 Uhr musste man diese wieder befüllt abgegeben haben. Mit Bussen sollten die Läufer um 21 Uhr zum Start gebracht werden. Leider verzögerte sich alles und so standen alle gleich mal ca. eine 3/4 Stunde in der Kälte herum. Komplett abgefroren, kamen wir nach ca. 30min Fahrt in Nova Gorizia an. Dort konnte man sich bis zum Start in einer Turnhalle hinlegen. Die Halle war natürlich nicht geheizt und gefühlt ca. 3° wärmer als draußen. War alles nicht ganz optimal…

Ich wollte ohnehin um Mitternacht starten und diese kalte Halle hat das nur bestätigt. 10min vor dem Start marschierten die Läufer Richtung Hauptplatz in Nova Gorizia. In der Mitte des Platzes verläuft exakt die Grenze zwischen Italien und Slowenien und da wurde auch losgelaufen.

Vom Start weg geht es ca. 2-3km gemütlich und flach raus aus dem Ort. Wirklich warm wurde mir dabei nicht, ich freute mich schon auf den ersten Anstieg zum Aufwärmen. Dieser kam dann auch recht bald und es ging gleich richtig spannend zur Sache. Über Steige und Höhlen aus dem ersten Weltkrieg ging es ca. 400 Höhenmeter hinauf auf den Mount Santo.

Von dort weg, dann ca. 17km lang, stetig ansteigend zum ersten Gipfel bei km 32. Es war ein technisch schwieriges, sehr raues Gelände, genauso der 7km lange Abstieg bis man endlich bei km 39 in Lokev zum ersten Checkpoint und zu seiner Kiste kam. Für diese erste Etappe benötigte ich 8,5h!

Erlebnisbericht von Teammitglied Werner: S1-Ipertrail am "La corsa della bora"

Nach gut einer halben Stunde Pause stand ein ziemlicher „Hammer“ bevor. Auf dem nächsten Anstieg wird jedes Jahr ein Rennen ausgetragen das sich „Vertikal of Caven“ nennt. Ein Vertikal-Km Rennen in dem es 1070Hm in 4,4km hinauf ging. Ist man endlich oben angekommen, kann man etwas entspannen bei einer kurzen Bergabpassage die auf eine Hochebene führt. Diese sieht im Profil recht einfach aus, es sind aber unzählige kleine, giftige Anstiege enthalten. Und insgesamt ist das Gelände einfach nicht laufbar. Es zieht sich wieder unendlich, nur die grandiose Aussicht von dieser Hochebene auf das Vipava-Tal entschädigt ein wenig. Ins Tal hinunter kam man zum zweiten Checkpoint und wieder zu seiner Kiste bei km 62.

In der folgenden Etappe wartete ein 19km langer Anstieg hinauf auf den Mount Nanos – der signifikanteste und prominenteste Berg des gesamten Karstgebietes. Der Anstieg ist zwar recht moderat, es geht jedoch über lange Strecken durch komplett weglose, slowenische Urwälder (in denen es noch Bären und Wölfe gibt) wo man nur sehr langsam weiterkommt. Am Gipfel angekommen, steht man vor einer riesigen Sendeanlage und hat hier laut Veranstalter die Wahl zwischen 2 Abstiegen: ein gemütlicher Wanderweg oder ein 2km kürzerer Steig. Die Verlockung hier 2km zu sparen ist natürlich groß und an der Abzweigung sieht der Steig auch nicht unbedingt schwierig aus. Also dort runter!
Diese Entscheidung hab ich ein paar Minuten später bereits bitter bereut. Ich hing in Felsen an Stahlseilen geklammert und hatte noch nie so die Hosen voll bei einem Abstieg. Es ging teilweise praktisch senkrecht hinunter und man musste sich jeden einzelnen Schritt dreimal überlegen. Ach ja, und Nacht war es natürlich auch schon wieder lange. So ging es ca. einen km bergab bis dieser halsbrecherische Steig in den ursprünglichen Wanderweg mündete. Für diesen einen km benötigte ich 32min! Der nächste Checkpoint war dann noch ca. 2 km entfernt bei km 84.

Die nächste Etappe führte über den Mount Auremiano, der bei weitem kälteste und ausgesetzteste Abschnitt. Zuerst ging es aber wieder durch ziemlich gespenstische, slowenische Urwälder. Durchs Unterholz stapfen, Wege suchen, fluchen,…

Am Ende des Anstieges, raus aus dem Wald überquert man eine lange, vollkommen offene Hochebene. Der Bora blies gnadenlos und selbst 3 Jacken waren hier noch zu wenig. Hinunter ging es in eine Schlucht durch die sich ein kleiner Fluss schlängelte. Der GPS-Empfang war hier ziemlich eingeschränkt und machte das navigieren schwer. Neben dem Fluss war es gefühlt gleich noch kälter und die Wege wurden immer schwieriger. Ich denke an dieser Stelle haben sich sehr viele entschlossen beim nächsten Checkpoint aufzugeben.

Schafft man es allerdings bis zum nächsten Checkpoint (113km), ist der schwierigste und wildeste Teil des Rennens vorbei.

Der nächste Berg auf der Strecke nennt sich Monte Castellaro und hier kreuzen sich Stecken der S1-Ultra und S1-Trail Bewerbe. Den Markierungen kann man allerdings trotzdem nicht folgen. Am Ende der Etappe sind bereits die Nachtlichter von Triest zu sehen – das stimmt positiv obwohl noch ca. 50km vor einem liegen.

Den nächsten Abschnitt (ca. 35km) läuft man entlang einer Hochebene hinter der Küste. Hier wird es seit langem wieder abwechslungsreicher, da hier sehr viele Läufer der anderen Bewerbe ebenfalls unterwegs sind. Die Wege im Karst sind jedoch genauso mühsam. Über lange Zeit geht es über enge Singletrails dahin, auf denen man als Ipertrailer jedoch ununterbrochen stehen bleiben muss, um schnellere Läufer der kürzeren Distanzen überholen zu lassen. Dieser Singletrial wird zum Schluss hin sehr technisch und spuckt einem direkt am Strand wieder aus. Auch am Strandabschnitt geht es ca. 1km über Felsen und Steine bevor es durch den Wald hinauf Richtung Ziel in Sistiana geht.

Ca. 500m vor dem Ziel biegt die Ipertrial-Strecke nochmal ab und schickt die Läufer auf eine 16km Schleife rund um die Stadt. Natürlich sind auf diesen 16km auch knapp 500 Höhenmeter reingepackt. So ca. 10km vor dem Ziel wird es wieder dunkel und ich setze bereits zum dritten Mal die Stirnlampe auf. Über den letzten Berg noch drüber und dann hörte man bereits den Lautsprecher des Stadions in dem das Ziel ist.

Dort kam ich nach 42h24min auf Platz 17 an.

Der Ipertrail ist schon ein sehr besonderes Rennen, vor allem wird man hier nicht nur körperlich, sondern auch mental an seine Grenzen gebracht. Nicht wenige, auch sehr erfahrene Ultratrailäufer, beißen sich hier die Zähne aus. Es gibt viele Gründe warum dieses Rennen für die meisten extrem fordernd, mürbend und auch frustrierend ist:

  • keine Markierungen: ständiges Checken ob man richtig ist, ständiger Kampf mit dem GPS
  • teilweise führt die Strecke durch komplett wegloses Gebiet. In Wäldern kriecht man durchs Unterholz oder klettert über Felspassagen
  • die Strecke ist auf den ersten 113km sehr schwierig und es gibt praktisch kaum laufbare Passagen auf denen man zumindest ein paar km etwas schneller abspulen kann. Wenn dann danach die Strecke etwas leichter wird, sind die Füße und Beine schon so am Ende, dass man auch wieder nicht schneller vorankommt. Es zieht sich wirklich jeder km endlos – bis zum Schluss.
  • die Distanzen zwischen den Checkpoints (bei denen man zu seiner Kiste kommt) sind sehr lang. Der längste 39km, der kürzeste 22km.
  • Das System mit der eigenen Kiste ist zwar gut wegen der eigenen Verpflegung und man kann natürlich auch öfter das Gewand wechseln, es braucht aber bei jedem Stopp ungleich mehr Zeit als bei einer normalen Labe. Unter einer halben Stunde bin ich nie durch einen Checkpoint gekommen.
  • Der Bora-Wind bläst ununterbrochen, es gibt nur wenige geschützte Stellen
  • 500m vor dem Ziel, wenn die Läufer der anderen Bewerbe bereits jubeln, abklatschen und sich auf die Schulter klopfen, biegt man als Ipertrailer ab und läuft nochmal eine Extrarunde mit 16km. Hier ist der Frust wohl am größten.

Das weiß man natürlich alles schon im Vorhinein, darauf vorbereitet ist man jedoch trotzdem nicht.

Ich denke hier kommt man nur ins Ziel, wenn man Zeit, Geschwindigkeit, km-Angaben ausblendet. Man folgt dem Track, komme was wolle. Man nimmt sich Zeit, genießt (wenn möglich) die Landschaft und denkt nicht allzu viel darüber nach, warum man hier gerade durch eine Höhle kriecht oder sich durch Gestrüpp durchschlägt.

Von den 70 Startern sind 28 in Ziel gekommen. Und nur diese 28 durften ihre Kiste auch behalten.“

Danke an Werner für das Teilen dieses beeindruckenden Erlebnisses!

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